Jugendliche brauchen erwachsene Vorbilder
Jugendliche und ihr Trinkverhalten stehen immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit.
In Österreich trinken 95 % der Erwachsenen gelegentlich oder regelmäßig Alkohol. Dennoch wird von immer weniger Personen immer weniger Alkohol getrunken. Das ist auch bei Jugendlichen so und nur wenige haben langfristig Probleme im Umgang mit Alkohol. Erhöhter Konsum ist meistens nur eine vorübergehende Phase. Auch wenn die österreichische Jugend insgesamt weniger konsumiert, wird früher damit begonnen. Die ersten Erfahrungen mit promillehaltigen Getränken werden hierzulande im Alter zwischen 12 und 13 Jahren gesammelt – mit 14 Jahren wird dann im Schnitt bereits regelmäßig Alkohol konsumiert, ein Jahr früher als noch vor zwei Jahrzehnten.
„Frühreife“ ist kein Schutzfaktor
Akzeleration, also Beschleunigung, nennt man diese Entwicklung, laut der die Pubertät immer früher einsetzt und damit einhergehend Verhaltensweisen früher übernommen werden. Grund genug, sich vor Augen zu halten, welche Wirkung promillehaltige Getränke auf Heranwachsende überhaupt haben. Denn obwohl Kinder immer früher „reif“ werden, ist die Wirkung von Alkohol nicht dieselbe wie bei Erwachsenen. Schließlich ist die körperliche Entwicklung nicht abgeschlossen, verschiedene Organe sind noch nicht ausgereift. Zudem sind die Enzyme, die den Alkohol in der Leber abbauen, bei Jugendlichen in geringerer Menge vorhanden als bei Erwachsenen. Dazu kommt das meist geringere Körpergewicht, das schneller zu Trunkenheit führt. In Kombination mit einer erhöhten Risikobereitschaft kann das in vermehrtem Ausmaß Unfälle verursachen, die langfristige Schäden nach sich ziehen können. Überdies wird die Gefahr einer Alkoholvergiftung deutlich unterschätzt. Doch dem nicht genug: Alkohol im Jugendalter kann die Konzentration des Wachstumshormons, das für Knochen- und Muskelentwicklung zuständig ist, hemmen. Dies kann Auswirkungen auf die Körpergröße haben. Auch die Gehirnentwicklung kann von der Alkoholaufnahme beeinflusst werden. Regelmäßiges, exzessives Trinken wird als Ursache für nachhaltige Veränderungen in der Gehirnentwicklung verantwortlich gemacht. Nicht nur aufgrund körperlicher Entwicklungsmerkmale wirkt Alkohol bei Jugendlichen anders als bei Erwachsenen. Ihnen fehlen Erfahrungswerte, was und wie viel sie vertragen. Junge Menschen trinken kaum aus Genuss oder Durst, sondern in erster Linie aus psychischen Gründen – um sich zu enthemmen und den Kontakt zu anderen zu erleichtern, um Ängste zu überwinden oder das eigene Selbstwertgefühl zu stärken. Diese Umbruchsituation gehe mit einer gewissen Verunsicherung einher, bestätigt auch Dr. Toni Berthel, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie: „In der Jugend geht es um die Bildung der Identität. Wir müssen unsere Körper als einen Teil von uns akzeptieren, wir müssen uns vom Elternhaus lösen, wir müssen uns außerhalb der Familie in eine Struktur einbinden und wir müssen eigenständige Moralvorstellungen entwickeln.“ Da die Entwicklung den Jugendlichen einen vernünftigen Umgang mit Alkohol erschwere, sei das Ausprobieren und Sammeln von Erfahrungen umso wichtiger, um ein risikobewusstes Konsumverhalten entwickeln zu können. Erwachsene müssen also Jugendliche dabei unterstützen, einen vernünftigen und selbstverantworteten Umgang mit Substanzen zu finden.
Positive Wirkung nicht verschweigen
Aufgabe der Erwachsenen ist es, in diesem Prozess „ihre Verantwortung ernst zu nehmen“, macht Dr. Berthel deutlich und führt fort: „Wir müssen akzeptieren, dass Jugendliche Grenzen suchen.“ Es gehe darum, Alkohol nicht zu verteufeln, sondern sinnvolle Jugendschutzmaßnahmen umzusetzen und Schadensbegrenzung zu betreiben. Also zu verhindern, dass Alkoholkonsum zu Folgeschäden führt. Die Ebene der Vernunft, die man von Jugendlichen im Umgang mit psychoaktiven Substanzen erwarte, käme dann „erst viel später“. Darüber hinaus sei es Aufgabe der Gesellschaft, Jugendlichen Entwicklungsräume und Zukunftsmöglichkeiten zu bieten – Ausbildung, Arbeit und Perspektiven. Wichtig sei es auch, ehrlich zu sein: „Wir können nicht vorgaukeln, psychoaktive Substanzen hätten nur negative Auswirkungen, wenn wir deren positiven Eigenschaften doch selbst nur allzu gut kennen.“ Berthel verweist in diesem Zusammenhang auf die humanistische Tradition unserer Gesellschaft, „die es verbietet, Verhaltensweisen, die niemandem schaden (und die einem selbst wenig schaden) zu verbieten, zu behandeln und zu bestrafen“. Das Fazit daraus ist für ihn nur logisch: „Wir müssen mit Jugendlichen darauf hinarbeiten, dass sie lernen, mit diesen Dingen umzugehen.