Hallo Frederick, die Frage von alternativen Psychopharmaka bei Benzodiazepinabhängigkeit ist berechtigt und die Pro- und Kontra-Überlegungen sind durchaus stimmig. Es bleibt die Entscheidung der Betroffenen, die kann kein anderer treffen. Ich kann lediglich meine Meinung mitteilen, die aus jetzt wohl schon 30-jähriger Erfahrung in der Psychiatrie und über 20-jähriger Erfahrung in der Suchtarbeit kommt.
Grundsätzlich gibt es für mich in der Güterabwägung in einer Situation wie der beschriebenen, keine Einwände, Antidepressiva zu nehmen. Die heutigen Präparate sind in der Regel gut verträglich, haben keine gefährlichen Begleiteffekte und machen nicht abhängig. Eine psychische Abhängigkeit kann es von allem und jedem geben, das kann das Essen genauso sein wie Sport oder andere Verhaltensweisen. Ich selbst gehe jeden Tag Joggen und bin wahrscheinlich auch etwas abhängig davon, weil ich mich nicht so wohl fühle, wenn ich am Morgen nicht laufen gehe, wenn das eine Abhängigkeit ist, soll es mir recht sein – solange es nichts Schlimmeres gibt!
Damit lässt sich gut leben.
Es ist so, dass viele Menschen von Antidepressiva sehr profitieren. Es gibt ja auch in meinem privaten Umfeld Menschen, die keine schweren psychischen Krankheiten haben, die sich aber deutlich besser fühlen, seit sie Antidepressiva in geringer Dosis nehmen. Hier spielen sehr wohl Ängste eine Rolle, verschiedene andere negative Gefühle und Antriebsprobleme. Wenn es jemandem mit Antidepressiva besser geht als ohne: Warum soll er sie nicht nehmen? Vielleicht gibt es eine Gruppe von Menschen, deren Gehirnstoffwechsel bezogen auf bestimmte Botenstoffe Unausgewogenheiten hat und für die eine derartige Behandlung sinnvoll und heilsam ist. Natürlich gibt es kein Medikament, das den Effekt von Benzodiazepinen 1:1 ersetzen kann. Aber – dies wird ja in dem Posting auch schon angedeutet – Chemie ist nicht alles. Es ist sinnvoll, Bewegung und Sport zu ergänzen, eine gesunde Ernährung, kulturelle und kreative Interessen zu pflegen, Bekanntschaften und Freundschaften. Es gibt auch gute Erfahrungen mit Meditation und Achtsamkeitstraining. Dies ist wahrscheinlich eine der effizientesten Methoden, den Geist zu beruhigen. Dazu gibt es einerseits Literatur, andererseits werden in vielen Städten und Gemeinden auch diesbezügliche Kurse angeboten. Vielleicht ist auch das Thema der Spiritualität etwas, worüber nachgedacht werden kann und wo manche von uns etwas finden, das ihnen vorher gefehlt hat und dazu beigetragen hat, dass wir uns unerfüllt erlebt haben und uns mit Gefühlen von Wertlosigkeit und Sinnlosigkeit herumschlagen mussten.
Dr. Roland Wölfle - Therapiestation Lukasfeld